Innigst geliebte Jenny!

Als wir in der Schule Goethe und Schiller lasen, haben wir nicht geglaubt, dass die Menschen jener Zeit tatsächlich so gesprochen haben, wie in den Dichtungen. Die hier abgedruckten Briefe belegen, dass zumindest das gehobene Bürgertum so geschrieben hat: Ein gestandener Mann teilt seiner künftigen Braut starke Emotionen anscheinend ohne Verschämtheit in ausgefeilter Sprache mit. Wir erfahren unmittelbar die starken Schwankungen seiner Gefühle und wie er diesen ständigen Wechsel zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Freude und Trauer zu bändigen versucht. Die Freundlichkeit und Ehrerbietung, die Bernhard seiner Jenny in den Briefen erweist, überträgt sich als gute Stimmung auch auf den Leser. Man glaubt teilzuhaben an den guten Seiten einer längst vergangenen Zeit, erlebt aber auch, welchen strengen Einfluss damals die Väter auf die Verheiratung ihrer Kinder ausübten. Beim Lesen können wir erfahren, wie der Einblick in einen nur sechs Monate dauernden sehr bedeutsamen Lebensausschnitt zweier Menschen, der über 200 Jahre zurückliegt, einen Wandel unserer eigenen Haltung zu unseren Mitmenschen bewirkt.